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Lindemann & Co.: Warum mutmaßliche Sexualstraftäter häufig nicht verurteilt werden

Was haben Ben Affleck, Luke Mockridge und Till Lindemann gemeinsam? Gegen alle drei Männer wurden öffentlich Vorwürfe sexueller Gewalt erhoben. Konsequenzen? Fehlanzeige. Wie es sein kann, dass mutmaßliche Täter so oft ungestraft davonkommen, erfährst du hier.

Achtung: In diesem Text geht es um sexuelle Gewalt, Hassnachrichten und Gewaltdrohungen.

Ob Rammstein-Frontsänger Till oder Thomas von nebenan: Sexualstraftaten bleiben meist ohne Konsequenzen

Sexuelle Übergriffe sind kein Ausnahmefall: 3 von 4 Frauen werden in Österreich im Laufe ihres Lebens sexuell belästigt. Die Täter? Meistens Männer [1]. Trotzdem enden die wenigsten Fälle mit einer Verurteilung [2]. Dafür gibt es auch einige prominente Beispiele. 

Im Jahr 2023 beschuldigten mehrere Frauen Rammstein-Sänger Till Lindemann, sie bei Konzerten unter Drogen gesetzt und sexuell bedrängt zu haben. Eine der ersten war Shelby Lynn aus Nordirland. Nach einem Auftritt in Vilnius berichtete sie von Erinnerungslücken, Hämatomen und einem möglichen sexuellen Übergriff. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen Lindemann jedoch ein. Der Grund: Es gab keine direkten Zeuginnen-Aussagen bei den Behörden [3, 4].

Der Fall Lindemann ist keine Ausnahme: Comedian Luke Mockridge etwa wurde 2019 von einer Ex-Partnerin der Vergewaltigung beschuldigt – das Verfahren wurde eingestellt, er sprach von einer „Kampagne“ gegen ihn [5]. Und US-Schauspieler Ben Affleck belästigte 2003 eine Kollegin vor laufender Kamera [6]. Konsequenzen: keine. Diese internationalen Vorfälle passen auch zur österreichischen Statistik, denn: Der Großteil der Verfahren zu Sexualdelikten wird eingestellt [2].

Eine Grafik zu Anzeigen wegen Vergewaltigung in Österreich 2022

Sexualdelikte: 3 Gründe, warum Täter häufig ungestraft davonkommen

Dass so viele mutmaßliche Täter ohne strafrechtliche oder gesellschaftliche Konsequenzen davonkommen, ist kein Zufall. Drei zentrale Gründe:

1. Anzeige-Hürden: Was Betroffene abhält

Sexuelle Gewalt ist ein traumatisches Erlebnis. Für Betroffene ist die Hürde, Anzeige zu erstatten, oft hoch. Angst vor Schuldzuweisungen hält die meisten davon ab, sich überhaupt jemandem anzuvertrauen – geschweige denn, zur Polizei zu gehen. Das Ergebnis: eine extrem hohe Dunkelziffer. In Österreich werden nur 9 % aller Vergewaltigungen angezeigt [7]. 

Bei prominenten Tätern riskieren Betroffene zudem öffentliche Angriffe. Shelby Lynn war beispielsweise mit zahlreichen Hassnachrichten und Gewaltdrohungen konfrontiert – “Ein schlechtes Wort über Rammstein und ich bringe dich um.” [8].

2. Beweislast und Justizsystem: Victim Blaming im Gerichtssaal

Kommt es zu einer Anzeige, ist eine Verurteilung unwahrscheinlich. Sexualdelikte geschehen meist ohne Zeug_innen, die Beweislast liegt bei den Betroffenen. Diese werden vor Gericht oft selbst zur Zielscheibe: Täter_innen verweisen auf mutmaßliche Einvernehmlichkeit oder unterstellen Falschaussagen. Außerdem fehlt geschultes Personal in allen Anlaufstellen – von der Polizei bis hin zur Justiz. 

Die meisten Verfahren zu Sexualdelikten werden daher eingestellt – egal, ob die Täter_innen schuldig sind oder nicht. Im Fall von Vergewaltigung werden in Österreich 91 % der angezeigten Personen nicht verurteilt [2, 7, 9].

3. Gesellschaftliche Reaktion: Misogynie statt Mitgefühl

Auch gesellschaftlich werden häufig keine Konsequenzen für Sexualdelikte gefordert – im Gegenteil. Opfern wird oft unterstellt, gelogen oder es “darauf angelegt” zu haben. Die Botschaft dahinter: Wer sexuelle Gewalt erlebt, hat sie zumindest teilweise selbst zu verantworten. Wenn mutmaßliche Täter prominent sind, wird Betroffenen außerdem oft vorgeworfen, nur Aufmerksamkeit zu wollen. 

Dieses Victim Blaming ist das Ergebnis von tief verwurzeltem Frauenhass (Misogynie). Und das schützt nicht nur Täter_innen, sondern sorgt auch dafür, dass viele Betroffene schweigen. Statt Solidarität und Unterstützung erfahren sie Misstrauen und Schuldzuweisungen.


Was ist Victim Blaming? 

Victim Blaming bedeutet, dass Opfern selbst die Schuld für das Erlebte zugeschoben wird – zum Beispiel mit folgenden Taktiken: 

  • Verantwortung abwälzen: „Hätte sie sich anders angezogen, wäre das nicht passiert.“
  • “Just-World”-Glaube*: „Irgendwas wird sie schon gemacht haben, um das zu verdienen.“
  • Schaden kleinreden: „War doch gar nicht so schlimm – ihr hat es sicher gefallen.“

*Der “Just-World”-Glaube geht davon aus, dass die Welt fair ist –  zum Beispiel, dass Personen, denen Schlechtes passiert, es verdienen.


#KeineBühne für mutmaßliche Täter – jetzt unterzeichnen!

Es gilt zwar die Unschuldsvermutung, aber für uns ist klar: Dass das Verfahren gegen Till Lindemann eingestellt wurde, ist noch lange kein Beweis für seine Unschuld! Seine Konzerte senden ein schlimmes Signal an Betroffene und sind kein sicherer Ort für Besucherinnen. Du siehst das auch so? Dann unterzeichne jetzt unseren Appell Till Lindemann in Wien: #KeineBühne für mutmaßliche Täter!

 

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Quellen:
[1] Statistik Austria, 2022: Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Österreich. Prävalenzstudie beauftragt durch Eurostat und das Bundeskanzleramt.
[2] Statistik Austria, 2024: Gerichtliche Kriminalstatistik 2021-2022
[3] Der Standard, 2. Juni 2023: Das System Rammstein: Mehrere Frauen erheben schwere Vorwürfe
[4] Der Standard, 29. August 2023: Ermittlungen gegen Rammstein-Sänger Lindemann in Berlin eingestellt
[5] Der Standard, 6. Oktober 2021: Vorwurf der sexuellen Nötigung gegen Luke Mockridge: Systemversagen statt Einzelfall
[6] Kurier, 10. August 2018: Casey Affleck: Erstes Interview nach Missbrauchsvorwürfen
[7] Bund für autonome Frauenberatungsstellen bei sexueller Gewalt Österreich, 2025: Sexuelle Gewalt an Frauen: einige Zahlen
[8] Instagram Shelby Lynn, 27. Mai 2025
[9] BMI Österreich, Juni 2024: Anzahl der angezeigten Vergewaltigungen in Österreich von 2012 bis 2022

Dieser Blogbeitrag kommt vom #aufstehn-Team. Hin und wieder schreiben auch andere Engagierte oder Petitionstarter_innen Beiträge.