20.000 Unterschriften – und der Kampf für Sexualpädagogik geht weiter! #redmadrüber

FPÖ und ÖVP wollen professionelle externe Fachkräfte für sexuelle Bildung an Schulen verbieten. Das Bündnis #redmadrüber fordert die Beibehaltung und den Ausbau einer qualitätsvollen Sexualpädagogik unter Einbindung von Expert_innen und hat deshalb eine Petition auf mein.aufstehn.at gestartet. Paul von #redmadrüber erzählt uns in diesem Blog-Beitrag, was bisher passiert ist. 

Es ist der 03. Juli, 08:30 morgens vor dem Parlament: Nach drei turbulenten Wochen übergeben wir mit gemischten Gefühlen unsere Petition #redmadrüber – Für qualitätsvolle Sexualpädagogik an Österreichs Schulen! an den Parlamentsdirektor Dr. Dossi.

Als Initiator*innen der Petition sind wir einerseits glücklich und ermutigt, weil sich innerhalb kürzester Zeit breiter Widerstand gegen einen skandalösen ÖVP-FPÖ Antrag zum Verbot schulischer Sexualpädagogik formiert hat. Ein Widerstand, der sich nicht nur in den über 20.000 Unterschriften der Petition ausdrückt, sondern auch in der Tatsache, dass wir bei der Übergabe umringt sind von zahlreichen Vertreter*innen solidarischer Organisationen, die mit uns noch einmal lauthals gegen den rückschrittlichen Antrag protestieren. 

Wir sind aber auch frustriert, weil sich bereits abzeichnet, dass die Abgeordneten den Protest der letzten Wochen ignorieren und den Antrag beschließen werden. Eine Vorahnung, die sich spätabends bestätigt, als der Antrag im Parlament beschlossen wird. Der Kampf für eine zeitgemäße Sexualpädagogik wird also weitergehen. Gemeinsam mit vielen Mitstreiter*innen.

Aber was ist da eigentlich geschehen, in diesen heißen Frühsommerwochen?

Dazu nochmal zurück zu der Nachricht, die wie eine Bombe eingeschlagen ist und den Protest auslöste: Am 14. Juni 2019 verkünden Abgeordnete von ÖVP und FPÖ, dass sie einen Antrag beschließen wollen, der es sexualpädagogischen Vereinen verbietet, zukünftig an Schulen tätig zu sein. Sie nutzten dafür das Mittel des „Entschließungsantrags“, das es dem Parlament ermöglicht, per Mehrheitsbeschluss Minister*innen zum Erlassen von Beschlüssen aufzufordern. Im vorliegenden Entschließungsantrag wurde die Bildungsministerin aufgefordert, einen Beschluss zu fassen, wonach Schulen die Zusammenarbeit mit sexualpädagogischen Vereinen zukünftig untersagt wird. Konservative Hardliner*innen von der ÖVP wie Gudrun Kugler und Rudolf Taschner nutzten das parlamentarische „freie Spiel der Kräfte“ nach dem #Ibizagate, um den Antrag gemeinsam mit FPÖ-Mandatar*innen einzubringen. Sie setzen damit einen jahrzehntelangen Kampf der Rechten gegen emanzipatorische Initiativen fort, der sich heute im Feindbild der sexuellen Vielfalt kristallisiert. Offenbar handelte es sich hier aber auch um eine Retourkutsche dafür, dass das katholisch-konservative Sexualpädagogikprojekt TeenSTAR einige Monate zuvor vom Bildungsministerium wegen homophober und anderer bedenklicher Inhalte von Schulen verbannt wurde. Nun nutzten die Parlamentarier*innen die Gunst der Stunde, um im Gegenzug alle sexualpädagogischen Angebote an Schulen zu verbieten und das mittels Entschließungsantrag im Eilverfahren durchzupeitschen. Der Zeitplan war denkbar knapp: Nur zwei Wochen nach der Ankündigung ging der Antrag in den Unterrichtsausschuss und von dort ins Parlament, wo er eine Woche später bereits beschlossen wurde. An besagtem 03.Juli 2019.

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So unglaublich diese konservative Attacke gegen eine zeitgemäße Sexualpädagogik war, so außerordentlich waren die zivilgesellschaftlichen Reaktionen darauf: Ein erstes Statement, das kurz nach der parlamentarischen Ankündigung auf der Seite der Plattform für Sexuelle Bildung veröffentlicht wurde, wurde von rund 100 Expert*innen und Vereinen unterstützt. Und auch in den Tagen danach setzte sich die Solidarisierungswelle fort. Unterschiedlichste Vereine aus pädagogischen und sozialen Feldern veröffentlichten kritische Stellungnahmen und wiesen auf die Probleme hin, die mit einem Verdrängen der professionellen Sexualpädagogik einhergehen. Die Bandbreite der Kritiker*innen reicht mittlerweile von etablierten Einrichtungen wie der Kinder- und Jugendanwaltschaft oder den Österreichischen Kinderschutzzentren bis hin zu den Pfadfinder*innen und der Katholischen Jugend (hier finden sich alle APA-Presseaussendungen). Unter dem Banner #redmadrüber ist es gelungen, ein breites Bündnis gegen diesen Antrag zu schmieden und öffentliche Sichtbarkeit für diese rückschrittliche politische Initiative zu erzeugen.

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Anfang Juli wurde die Kampagnenseite redmadrueber.jetzt eingerichtet, die Stellungnahmen versammelt, ein Medienecho präsentiert und die weiteren Aktionen begleiten wird. Eine zentrale Rolle für den Aufbau von öffentlichem Druck spielte darüber hinaus die Petition  #redmadrüber – Für qualitätsvolle Sexualpädagogik an Österreichs Schulen! Zwei Wochen nach ihrem Start hat sie die Marke von 20.000 Unterschriften überschritten. Die Übergabe an den Parlamentsdirektor sehen wir dabei als Zwischenschritt und die Petition läuft weiter.

Denn: Die Abgeordneten von ÖVP und FPÖ ignorierten den breiten Widerstand gegen die sachlich nicht begründbare und rückschrittliche Initiative und stimmten für den Antrag, der nun bei der Bildungsministerin liegt. Wir appellieren an die Ministerin, die Kritik von zahlreichen Expert*innen ernst zu nehmen und dem Antrag nicht zu folgen. Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern profitieren von der Zusammenarbeit zwischen der Schule und professionellen sexualpädagogischen Vereinen. Sexualpädagog*innen verfügen über das Wissen, die Erfahrung und die didaktische Kompetenzen, um das komplexe Thema Sexualität umfassend und altersgerecht zu vermitteln. Sexualpädagogik an Schulen zu verbieten, ist ein pädagogischer Rückschritt und entspricht der althergebrachten Haltung von Tabuisierung, Wegschauen und Schweigen, wenn es um Fragen rund um Sexualität geht. 

Wir fordern, dass qualitätsvolle Sexualpädagogik an Österreichs Schulen ausgebaut und nicht zurückgedrängt wird. Die Initiative #redmadrüber wird sich auch in den kommenden Monaten dafür einsetzen, dass der rückschrittliche Antrag nicht umgesetzt wird und es auch weiterhin qualitätsvolle sexualpädagogische Angebote an Österreichischen Schulen gibt.

Du hast die Petition noch nicht unterzeichnet? Hier kannst mitmachen: https://mein.aufstehn.at/p/redmadrueber

Paul hat mehrere Jahre ein sexualpädagogisches Projekt geleitet und ist jetzt an der Universität tätig. Dort befasst er sich aus theoretischer Perspektive mit emanzipatorischer Sexualpädagogik. Bei #redmadrueber setzt er sich dafür ein, dass Sexualpädagogik nicht von konservativen Politiker*innen zurückgedrängt wird.

Sie sind wieder in der Schule!

Hunderte junge Flüchtlinge, die plötzlich nicht mehr in die Schule gehen dürfen? Was unglaublich klingt, war vergangenen Herbst in vielen Bundesländern urplötzlich Realität. Wir sind sofort aktiv geworden, haben mit unserem Protest eine Gesetzesänderung angestoßen und dafür gesorgt, dass die Jugendlichen wieder in die Schule gehen dürfen – ein Riesenerfolg!

Rückblick: Meist ohne jede Vorwarnung erfuhren im September vergangenen Jahres kurz vor Schulbeginn in Oberösterreich 126 junge Flüchtlinge, dass sie kein freiwilliges zehntes Schuljahr mehr machen dürfen. Auch in anderen Bundesländern wurde jugendlichen Geflüchteten plötzlich der Schulbesuch verwehrt. Uns erreichten berührende Briefe, in denen die Jugendlichen erzählen, was dieser Schock für sie bedeutet und wie gerne sie wieder in ihre Klassen gehen würden:

Ayub (15)

 

Jafar (16)

Die Jugendlichen waren verzweifelt, MitschülerInnen, LehrerInnen und BetreuerInnen ebenso. 8.000 von uns wollten das nicht einfach so hinnehmen und haben Bildungsministerin Sonja Hammerschmid über www.aufstehn.at Mails geschrieben und sie aufgefordert, die jungen Geflüchteten wieder in die Schule gehen zu lassen.

Über ein Jahr lang sind wir dran geblieben, waren immer wieder mit dem Unterrichtsministerium und zahlreichen BetreuerInnen in Kontakt – mit Erfolg. Vor wenigen Tagen hat die Schule wieder begonnen. Diesmal auch für geflüchtete Jugendliche, die ein freiwilliges 10. Schuljahr machen möchten.

„Ich freue mich sehr auf die Schule. Ich möchte so viel lernen wie möglich.“

Frozan (15) aus Wels (OÖ)

Eine von ihnen ist Frozan (15). Die Schülerin aus Wels (OÖ) hat die ganzen Ferien darauf gehofft, im September wieder in die Schule gehen zu dürfen. Die Freude ist groß, dass sie nun die 4. Klasse der NMS 6 wiederholen darf. „Ich freue mich sehr auf die Schule. Ich möchte so viel lernen wie möglich. Am liebsten mag ich Deutsch und Englisch.“, erzählt sie.

 Auch in den Medien wurde über unseren großen Erfolg berichtet:
DiePresse.com,  meinbezirk.at, ViennaOnline

Der Hintergrund: Viele jugendliche Flüchtlinge sind wegen ihrer mangelnden Deutschkenntnisse außerordentliche SchülerInnen. Als solche war es ihnen nicht mehr erlaubt, das 10. Schuljahr zu besuchen, was vergangenen Herbst dazu führte, dass sie in verschiedenen Bundesländern, wie auch der Steiermark und Salzburg, aus dem Klassenverband gerissen wurden. Damit wurde den Jugendlichen die Chance auf weiterführende Bildung und Integration verweigert.

Wir haben uns zu Schulbeginn nach der Gesetzesänderung noch einmal über die aktuelle Situation informiert: In Wien gab es in den vergangenen Wochen noch Probleme, einzelne jugendliche Geflüchtete in Klassen unterzubringen. Landesschulinspektor Wolfgang Gröpel vom Stadtschulrat Wien hat uns aber auf Anfrage versichert, dass alle betroffenen SchülerInnen einen Schulplatz bekommen werden. Wir bleiben dran!

 

Weiterlesen:

DiePresse.com, 11.09.2016: Kein freiwilliges zehntes Schuljahr für Flüchtlinge
Heute.at, 14.09.2016: Lehrer und 15 Schüler müssen von Schule gehen
Aufstehn.at, 15.09.2016: “Lassen Sie sie in die Schule gehen, Frau Ministerin” – Was bisher geschah.
DiePresse.com, 20.03.2017: Nach Wirbel doch ein Extra-Schuljahr für Flüchtlinge
Aufstehn.at, 27.03.2017: „Erfolg: Junge Flüchtlinge dürfen wieder in die Schule gehen!“
Vienna.at, 04.09.2017: „Rund 475.000 Schüler starten in Wien, NÖ und dem Burgenland ins neue Schuljahr“
meinberzirk.at, 14.09.2017: „Fast 1.500 Flüchtlingskinder gehen in Oberösterreich zur Schule“

„Lassen Sie sie in die Schule gehen, Frau Ministerin!“ – Was bisher geschah.

„Lassen Sie sie in die Schule gehen, Frau Ministerin!“ – mit dieser Forderung haben wir ganz schön was ins Rollen gebracht: Innerhalb einer Woche haben fast 8.000 von uns Bildungsministerin Sonja Hammerschmid ein Mail geschrieben und sie aufgefordert, jungen Flüchtlingen das freiwillige 10. Schuljahr zu ermöglichen. Unser Protest verbreitet sich rasend schnell, das Thema ist in allen Medien. Auch die Ministerin hat bereits auf unseren Protest reagiert.

SchülerInnen in ganz Österreich betroffen

Nachdem wir Anfang letzter Woche erfahren haben, dass 126 junge Flüchtlinge in Oberösterreich nicht mehr in die Schule gehen dürfen, weil außerordentlichen SchülerInnen der Besuch im 10. freiwillige Schuljahr nicht mehr erlaubt ist, sind weitere Fälle bekannt geworden. In Salzburg sind 37 SchülerInnen betroffen und in der Steiermark trat dieses Problem bereits letztes Jahr auf.[1][2] Aber nicht für die Jugendlichen hat der Ausschluss tiefgreifende Konsequenzen: Weil In Vöcklabruck letzten Mittwoch 15 Schüler nach Hause geschickt wurden, mussten ohne Vorwarnung Klassen zusammengelegt und zwei Lehrkräfte versetzt werden.[1]

In der Zwischenzeit haben uns auch sehr berührende Briefe erreicht: Jugendliche, die plötzlich nicht mehr in die Schule gehen können, erzählen, was dieser Schock für sie bedeutet, wie gerne sie wieder in ihre Klassen gehen würden und welche Wünsche sie für ihre Zukunft haben.

brief_ajub

Ayub, 15 Jahre

brief_jafar

Jafar, 16 Jahre

brief_mahdi

Mahdi    

Die Bildungsministerin hat reagiert

8.000 Mails können etwas bewirken, unser Protest kommt an: Frau Ministerin Hammerschmid hat uns versichert, dass sie eine Gesetzesänderung prüfen will, um den betroffenen Jugendlichen den Schulbesuch wieder zu ermöglichen:

„Wenn wir Integration leben und jugendlichen Flüchtlingen eine Chance geben wollen, an unserer Gesellschaft teilzuhaben, sollten wir sie nicht aus bestehenden Klassenverbünden herausholen. Wir prüfen deshalb eine Gesetzesänderung, um auch jugendlichen Flüchtlingen ein freiwilliges 10. Schuljahr zu ermöglichen. In der Zwischenzeit haben wir spezielle Lehrgänge geschaffen, die sich bedürfnisorientiert an jene Zielgruppe richtet.“

Man möchte möglichst rasch einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen, hofft, Anfang nächsten Jahres auf Basis einer überarbeiteten Rechtslage weiterzuarbeiten.

Für uns ist klar, dass wir nicht lockerlassen dürfen. Wir fordern eine möglichst rasche Gesetzesänderung, damit junge Flüchtlinge die Schule so schnell wie möglich wieder im freiwilligen 10. Schuljahr besuchen können, sie aber auch in der Zwischenzeit angemessene Betreuungsangebote erhalten.

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Quellen:
[1] DiePresse.com, 11.09.2016: Kein freiwilliges zehntes Schuljahr für Flüchtlinge
[2] Heute.at, 14.09.2016: Lehrer und 15 Schüler müssen von Schule gehen