#solidaritystorm: „Es gibt noch viele Maßnahmen, die die Politik setzen kann“

Unser #solidaritystorm hat den Stein ins Rollen gebracht: Von Frauenministerin Oberhauser über Staatssekretärin Duzdar bis hin zu Justizminister Brandstetter – sie alle haben reagiert und sich zu Hass und sexualisierter Gewalt im Netz zu Wort gemeldet.
Doch wie sind ihre Vorschläge einzuschätzen und was muss passieren, damit es nicht bei bloßen bloßen Lippenbekenntnissen bleibt und Betroffene endlich angemessene Hilfe und Schutz erhalten? Wir haben dazu mit Ingrid Brodnig (Autorin von „Hass im Netz“) gesprochen.


#aufstehn: Frauenministerin Oberhauser hat die Schaffung einer Meldestelle angekündigt. Wie müsste so eine Meldestelle Ihrer Meinung nach aussehen und was bräuchte es dafür?

Ingrid Brodnig: Mir erzählen Opfer von Hass im Netz immer wieder, wie überfordert sie sich fühlen: Zum Beispiel droht einem ein wildfremder Nutzer im Internet, dass man damit rechnen solle, bald vergewaltigt zu werden – wie soll man da als Betroffene regieren? Eine Meldestelle sollte in meinen Augen ein erster Anlaufpunkt sein, zu dem sich Opfer von Hasskommentaren hinwenden können. Zwei Funktionen könnte eine solche Meldestelle erfüllen: Zum einen Informationen liefern, wie man eine Anzeige einbringt, wie man sich technisch schützen kann, welche Methoden gegen Hass im Netz es gibt. Im Optimalfall gibt es dort eine persönlich Beratung oder Hilfe, Beratung zu finden. Zweitens fände ich es gut, wenn eine solche Meldestelle diesen Hass auch dokumentiert: Zum Beispiel könnte einmal im Jahr ein Bericht publiziert werden, wie viele Menschen Hilfe suchten, und welche Form von aggressiven Kommentaren besonders häufig sind. Derzeit sind es oft Einzelpersonen, die den Hass im Netz sichtbar machen, ihn thematisieren. Generell fände ich eine regelmäßige Erhebung gut, damit wir bessere Zahlen haben – auch darüber, welche Bevölkerungsgruppen Schutz im Netz brauchen.

#aufstehn: Facebook tue zu wenig für den UserInnenschutz und Hasskommentare blieben zu lange stehen, heißt es. Justizminister Brandstetter will hier Verbesserungen erreichen. Welche Mittel stehen hier zur Verfügung und in wie weit kann Facebook zur Verantwortung gezogen werden?

Brodnig: Natürlich kann Facebook zur Verantwortung gezogen werden: Gerade weil Facebook ein riesiger Konzern ist und im Leben von Millionen von Österreichern eine Rolle spielt, muss die Politik genau hinschauen. Zum Beispiel können Politiker Transparenz einfordern: Es wäre doch interessant zu wissen, wie viele deutschsprachige Moderatoren Facebook engagiert. Bürger machen mitunter die Erfahrung, dass sie hetzerische oder rufschädigende Postings melden, diese aber überraschenderweise von Facebook nicht entfernt werden. Notfalls kann die Politik hier auch Transparenzpflichten für große Plattformen einführen, deren Geschäftsmodell der soziale Austausch ist. Dann müssten diese zum Beispiel ausweisen, wie viele Moderatoren sie beschäftigen, wie viele hetzerische Kommentare ihnen gemeldet werden, wie viel Prozent ihres jährlichen Umsatzes sie für Moderation und Kundenbetreuung aufwenden. Außerdem gibt es bereits bestehende Gesetze, die hier Hilfe bieten können: Laut dem österreichishen Verbandsverantwortlichkeitsgesetz gilt das Strafrecht auch für Unternehmen. Wenn eine Plattform konsequent Hasskommentare duldet und stehen lässt, könnte sie im schlimmsten Fall sogar als Beitragstäter verurteilt werden. Auf dieses Szenario hat auch der Justizminister schon hingewiesen – es gibt also noch viele Maßnahmen, die die Politik setzen kann.

#aufstehn: Was muss sich darüber hinaus ändern und was kann die Politk tun, damit Betroffene angemessene Hilfe und Schutz bekommen?

Brodnig: Die Politik hat zwei Aufgaben: Vorbild sein und Schutz ermöglichen. Zum einen ist wichtig, dass Politiker klar signalisieren: Wir akzeptieren diesen Hass nicht. Es ist nicht in Ordnung, wenn Frauen zum Beispiel Vergewaltigungsandrohungen online erhalten und gezielt fertiggemacht werden. Die Politik muss auf solche Tabus pochen. Sie kann dies zweitens auch damit tun, dass sie mehr Schutz bietet: Zum Beispiel schreiben mich regelmäßig Betroffene von Hasskommentaren auf Facebook an und bitten um meinen Ratschlag. Es wäre gut, wenn auch jeder Polizist in Österreich auf solche Fragen eine Antwort parat hat. Jeder Polizeibeamte weiß, was ein Einbruch ist, wie Raubüberfälle ablaufen – aber wie Cybermobbing funktioniert, weiß womöglich nicht jeder so genau. Es gibt hier bereits sehr engagierte Beamte, nur ist es wichtig, auch flächendeckend dieses Wissen zu verbreiten. Darüber hinaus kann die Politik eben auch Druck machen, von Plattformen wie Facebook mehr Verantwortung einfordern. Im Übrigens handelt die Politik hier ja auch im Eigeninteresse: Es tut unserer Demokratie nicht gut, wenn die öffentliche Debatte von Aggression und Falschmeldungen übersät ist. Es ist zutiefst problematisch, wenn Menschen fertiggemacht werden, einfach weil sie eine Frau sind und öffentlich ihre Meinung sagen. Es geht auch darum, die öffentliche Diskussionskultur zu schützen. Es ist nicht in Ordnung, dass Rüpel versuchen, mit purer Aggression Andersdenkende oder selbstbewusste Frauen aus der Debatte wegzudrängen und mundtot zu machen. Unsere Demokratie lebt davon, anderer Meinung sein zu können und trotzdem den anderen wie einen Menschen zu behandeln.

 

ingrid_brodnig_foto_ingo_pertramer

 

Ingrid Brodnig ist Autorin des Buchs „Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können“ (Brandstätter Verlag, Link: https://www.brandstaetterverlag.com/buch/hass-im-netz) und Medienredakteurin des Nachrichtenmagazin profil. Mehr Infos unter: brodnig.org

Nelson ist Campaigner und Tech Coordinator. Er plant und leitet Kampagnen und kümmert sich um alles Technische. Vor seinem Engagement für #aufstehn war er in mehreren BürgerInnenrechts- und Menschenrechtsinitiativen aktiv und hat Internationale Entwicklung studiert.